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Die vergessenen Kinder

Menschen mit einer psychischen Krankheit erhalten in unserer Gesellschaft Hilfe. Ihre Kinder hingegen werden mit Ängsten, Schuldgefühlen und der ihnen übertragenen Verantwortung allein gelassen. Die Bedürfnisse dieser Kinder standen an einer Tagung der VASK Zürich im Mittelpunkt. Und die Frage was für sie getan werden kann.

Zürich, 25. April 2005 - In der Schweiz leben 50'000 Kinder mit psychisch kranken Eltern. Die Dunkelziffer liegt weit höher. Weil sich die Kinder kaum zu Wort melden können, sind sie in der Öffentlichkeit und auch in der Fachwelt kaum ein Thema. Anlass genug für die Vereinigung der Angehörigen der Schizophrenie- und Psychisch Kranken (VASK) Zürich eine Tagung zu diesem Thema zu organisieren. Geladen waren betroffene Kinder, weitere Angehörige von psychisch Kranken, Psychiatrieerfahrene und Fachpersonen. Professor Dr. med. Waldemar Greil vom Sanatorium Kilchberg moderierte die Tagung.


Wenig bekannt
Waldemar Greil führte in seiner Begrüssungsrede als Stellvertreter der Fachwelt selbstreflektierend in das Thema und gestand dabei ein, dass auch im Sanatorium Kilchberg die Kinder von psychisch Kranken vergessene Angehörige sind: "Fortschritte haben wir bei erwachsenen Kindern gemacht, doch junge Kinder kommen höchstens während einem Familiengespräch zum Zug." Brigitte Müller, Psychologin FSP, PUK bemerkte, dass zu diesem Thema nur wenige Studien vorliegen. Am ehesten seien Forschungen über die Folgen dieser schwierigen Lebenssituationen für Kinder erhältlich. "Diese Studien vernachlässigen jedoch das Erleben der Kinder." Während den Diskussionen wurde klar, dass dies nicht nur an der Untätigkeit der Fachpersonen liegt. Viele Kinder dürfen ausserhalb der Familie nicht über die Problematik sprechen oder wissen seitens der Eltern nicht, dass ein Elternteil krank ist. Dies erschwert den Dialog. Wenn es um die Forschung geht, müssen beide Eltern das Einverständnis geben, dass ein Kind befragt werden kann. Ein oft schwieriges Unterfangen.


Angst, Schuld, Verantwortung
"Spätestens im Kindergarten wusste ich, mein Vater ist anders als andere Väter." Lina Janggen war zwei Jahre alt, als ihr Vater die erste akute Psychose erlebte und in der Klinik behandelt werden musste. Später wurde klar, dass er an einer chronischen Schizophrenie leidet. Eindrücklich schilderte die Lina Janggen ihre Kindheit, zeigte auf, wie sie sich gefühlt hatte.

Das Gefühl der Angst, erlebte sie als sehr prägend: "Alles war möglich. Das Gefühl von latenter Bedrohung, war ständig vorhanden." Doch da war auch die Angst vor dem Verlassenwerden, die Angst vor der Beziehungslosigkeit zum Vater, vor den eigenen Wutgefühlen und vor dem Instabilen. Brigitte Müller kam während ihrem Referat ebenfalls auf dieses Thema zu sprechen. Bei Interviews mit Familienangehörigen, die sie für ihre Lizenziatsarbeit geführt hatte, kristallisierte sich die Angst immer wieder heraus: "Viele Kinder haben grosse Ängste. Eine davon ist die Angst den erkrankten Elternteil durch Suizid zu verlieren."

Auffallend ist, dass die Kinder sehr schnell erwachsen werden, Verantwortung übernehmen und ihre eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund stellen. Hierzu Lina Janggen: "meine Geschwister und ich halfen mit, den kranken Elternteil zu stabilisieren und gleichzeitig den gesunden Elternteil zu unterstützen. Es fand eine Verschiebung der Verantwortung statt." Eng gekoppelt mit der Übernahme von Verantwortung sind Schuldgefühle. Dies bestätigte auch Brigitte Müller: "Ein zentrales Problem der Kinder ist das Gefühl einer diffusen Mitschuld." Als Beispiel nannte die Psychologin die Ansicht, es würde dem erkrankten Elternteil besser gehen, wenn das Kind besser folgen würde. Auch Lina Janggen plagten Schuldgefühle: "Je älter ich wurde, desto schuldiger fühlte ich mich an der Situation zu Hause und an der Krankheit." Zudem plagte sie ein Loyalitätskonflikt und erzählte folglich ausserhalb der Familie niemandem, was sie wirklich beschäftigte. Als Janggen 16 war, bekam sie therapeutische Hilfe, lernte neue Beziehungsformen kennen, sich abzugrenzen und vermehrt nach den eigenen Bedürfnissen zu leben.


Was brauchen die Kinder
Im Rahmen der Referate, dem gezeigten Film "Wahnsinnskinder", den Diskussionen und den Workshops kam eines immer wieder zur Sprache: Was muss, was kann getan werden, damit sich Kinder von psychisch Kranken den Umständen entsprechend gut entwickeln können? "Alles, was andere Kinder auch brauchen", sagt Lina Janggen, fügt dann aber an: "Aber sie müssen dem Alter entsprechend informiert werden. Man darf es nicht einfach alleine Fantasien und Ängsten überlassen." Und ein tragendes Beziehungsnetz. Dieses hilft mit Ängsten und Schuldgefühlen besser umzugehen. Die Entlastung der Familie erachtet Janggen ebenfalls als enorm wichtig. Zusammen mit den Erkenntnissen aus der Arbeit von Brigitte Müller und den Diskussionen zwischen den Fachleuten, Psychiatrieerfahrenen (Erkrankte) und Angehörigen kristallisierte sich heraus, dass Eltern Unterstützung und Hilfsmittel brauchen, um mit ihren Kindern kommunizieren zu können. Die Kinder wiederum benötigen einen geschützten Raum, um sprechen zu können. Am besten eignet sich hierzu eine Vertrauensperson. Wichtig ist, dass Eltern ihren Kindern verbal sowie nonverbal die Erlaubnis geben mit dieser Vertrauensperson sprechen zu dürfen, sodass kein Loyalitätskonflikt entsteht. Auch müssen Kinder lernen, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und sich abzugrenzen. Entsprechend wichtig ist es, Fachpersonen auf dieses Thema zu sensibilisieren. Insbesondere wenn eine Klinikeinweisung erfolgt muss klar sein, dass für die Kinder gesorgt wird. Den Behörden kommt hier eine wichtige Rolle zu. Die Zuständigkeiten müssen definiert werden, denn heute fallen viele Kinder durch dieses Netz, weil Behörden ihre Verantwortung nicht wahrnehmen.


Wie weiter
"Es fehlt eine Vernetzung oder eine Lobby für die Kinder." Diese Worte von Brigitte Müller brachten auf den Punkt, was viele der rund 80 Teilnehmenden dachten. In den Workshops wurden einige Ansätze erarbeitet, die - hoffentlich - weiter 'gesponnen' werden. So sollten Lehrpersonen besser aufgeklärt, die Politik verstärkt einbezogen und die Öffentlichkeit informiert werden. Auch wurde erkannt, dass in den Institutionen Kinderecken und -Spielplätze fehlen. Als besonders wichtig wurden Anlauf- und Beratungsstellen erachtet sowie die Förderung des Trialoges. Darüber hinaus wurde das vorgestellte Kinderbüchlein "FUFU und der grüne Mantel" von Lina Janggen und Vera Eggermann sehr gelobt. Die Geschichte von Fuchs FUFU, dessen Papa psychisch krank wird ist ein wunderbares Instrument, um mit Kindern altersgerecht über die Problematik zu sprechen.

Fast 20 Personen erklärten sich nach der Tagung bereit, in Form einer Arbeitsgruppe nach Wegen zu suchen, um die Situation der Kinder zu verbessern. Daraus geht in einem ersten Schritt mit grösster Wahrscheinlichkeit unter der Schirmherrschaft der VASK Zürich ein Treffpunkt für Kinder von psychisch Kranken Eltern hervor.


Das Kinderbuch FUFU ist erhältlich bei www.astrazeneca.ch , www.vask.ch , www.vaskzuerich.ch .